Präventives Arbeiten ist – sowohl in ihrer fachlichen Umsetzung als auch in ihrer Legitimation – auf den Fundus wissenschaftlicher Forschung angewiesen. Gleichzeitig muss Suchtvorbeugung, verstanden als eine im Alltag der Menschen eingebundene soziale Praxis, stets eine Vielzahl von gesellschaftlichen, kulturellen, institutionellen sowie individuellen Bedingungen beachten. Diese Bedingungen können die Vorbeugung von Sucht, problematischem Substanzkonsum und anderen psychosozialen Problemlagen sowohl ermöglichen als ihnen auch entgegenstehen.
In unserem Selbstverständnis ist Suchtvorbeugung bzw. Prävention als eine thematisch umfassende und differenzierte Praxis zu verstehen, die es vermag, in ihrem Tun verschiedene theoretische Perspektiven zu integrieren sowie in ihren Grundlagen evidenzbasiert und ethisch fundiert vorgeht. Dies kann anhand folgender vier Eckpunkte erläutert werden:
1. Umfassend und differenziert
Um dem weiten Feld der Abhängigkeitserkrankungen, des Substanzkonsums und anderer problembehafteter Verhaltensweisen und Phänomenen (z.B. Gewalt) gerecht zu werden, liegt unserer Arbeit ein umfassender und erweiterter Begriff von Sucht zu Grunde. Dieser umfasst u.a. Verhaltenssüchte wie Glücksspiel, Essstörungen oder den problematischen Konsum digitaler Medien. Zudem wird suchtbezogenes Verhalten stets in den wechselseitigen Beziehungen zwischen Person („Set“), situativen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen („Setting“) und der Substanz bzw. der suchtbezogenen Verhaltensweise gedacht. Diese drei Bezugspunkte werden im so genannten „Sucht-Dreieck“ verdeutlicht (siehe Grafik).
2. Theoretisch integrativ
Dieser umfassende und differenzierte Blick setzt eine Perspektive voraus, die verschiedene theoretische Ansätze präventiver Arbeit miteinander kombiniert und in ein Gesamtkonzept integriert. Dementsprechend werden z.B. verschiedene wissenschaftliche Perspektiven, wie etwa Erkenntnisse aus der Psychologie, der Biologie und der Soziologie, im Rahmen der zuvor beschriebenen Ursachen-Trias von Abhängigkeiten („Sucht-Dreieck“) verwoben. Dabei fließen verschiedene Modell der Prävention und Gesundheitsförderung ein, wie etwa das Risiko- und Schutzfaktorenmodell, der Life Skills Ansatz (Lebenskompetenzen), systemübergreifende Modelle oder der Multiplikator*innen-Ansatz. Am wirksamsten ist Prävention dann, wenn sie sich im Zusammenspiel verschiedener Ansätze sowohl auf individueller, institutioneller und gesamtgesellschaftlicher Ebene entfalten kann (Verhaltens- und Verhältnisprävention; primäre, sekundäre und tertiäre Prävention; universelle, selektive sowie indizierte Prävention).
3. Evidenzbasiert
Unsere präventive Praxis folgt wissenschaftlich fundierten Theorien, Ursachen- und Wirkmodellen sowie Interventionsmethoden. Dennoch ist uns dabei bewusst, dass eine erfolgreiche Präventionsarbeit auch zentrale Elemente beinhaltet, die sich nicht der wissenschaftlichen Logik der Verallgemeinerung unterwerfen lassen. Hierzu zählen unter anderem das Wissen über Besonderheiten, die allen konkreten Sets und Settings eigen sind; das Bewusstsein darüber, dass Handeln nicht nur technologischen Regeln folgt, sondern sich auch wert- und normvermittelt vollzieht; sowie das Bekenntnis dazu, dass Prävention nur im Einvernehmen aller Beteiligten möglich und wirksam ist.
4. Ethisch fundiert
Last but not least ist zu beachten, dass Suchtvorbeugung als professionelle Praxis auf eine ethische Fundierung angewiesen ist. Denn: Eine klare ethisch begründete Haltung und Perspektive bietet nicht nur eine Orientierung für die alltägliche präventive Arbeit. Zusätzlich beugt eine solche Haltung z. B. einer Instrumentalisierung von Präventionsarbeit vor. Wir orientieren uns in unserer Arbeit im Kern am "demokratisch-emanzipatorische Menschenbild" im Sinne der Ottawa Charta der Weltgesundheitsorganisation. Im Zentrum stehen dabei die Ermöglichung und Befähigung der Menschen zu einem selbstbestimmten und verantwortungsbewussten gesundheitsgerechten Leben in einer gesundheitsförderlichen Umwelt.